Kreativität, Urheberrecht und die Musikindustrie

Letzten Donnerstag habe ich in Aarau an der Tagung «Musik – grenzenlos, kostenlos, schutzlos» einen Vortrag gehalten zum vorgegebenenThema „Keine Kreativität ohne Urheberrecht“. Dabei habe ich im Kern vor allem darauf hingewiesen, dass es untragbar ist, dass genau die Musikindustrie, die so viele Künstler betrogen und über den Tisch gezogen hat, sich nun als Wahrer der der Urheberrechte aufspielt – die Industrie hat ein so schlechtes Image, dass das Publikum sich im Recht fühlt, wenn es gratis Musik herunterlädt.

Natürlich waren einige anwesende Vertreter der Industrie ziemlich pikiert. Hier das Manuskript als PDF für mein frei vorgetragenes Referat vom 19.10.2006.

Und hier der Text als Ganzes für alle, die lieber gleich hier lesen:

Keine Kreativität ohne Urheberrecht

Ein schöner Titel, dem theoretisch und grundsätzlich jedermann zustimmen kann, denn es ist offensichtlich, dass in einer so materialistischen Gesellschaft wie unserer keine Kultur entstehen kann, wenn nicht die Urheber in irgendeiner Form für ihre Tätigkeit entschädigt werden. In der Praxis und im Detail jedoch scheiden sich schnell die Geister, und wenn man sich in die Materie vertieft, wird schnell klar, dass da nicht nur ganz verschiedene Interessen vertreten werden, sondern dass man in der Diskussion ums Urheberrecht und speziell in der Schweiz um die anstehende Gesetzesrevision ganz tüchtig aneinander vorbeiredet. Ich will versuchen, eine Klärung der Standpunkte zu erreichen.

1. Fast alle sind sich einig, dass der Urheber für die Nutzung seiner Kreationen entschädigt werden soll, zumindest als Lippenbekenntnis.

Die deutsche Piratenpartei
Am 10. September 2006 wurde in Berlin die deutsche Piratenpartei gegründet. Die primären Ziele dieser politischen Bewegung sind die Freiheit des Wissens und der Kultur und die Wahrung der Privatsphäre. In ihrem Parteiprogramm schreibt die Piratenpartei (ich zitiere Ausschnitte):

Das Urheberrecht ist im Moment auf Gewinne der Verleger optimiert, in der Annahme, die Kreativen dadurch gerecht zu entlohnen. Dieses Konzept hat in der Vergangenheit nicht genügend funktioniert, mit der Möglichkeit der digitalen Kopie ist es gänzlich fehl am Platz.
Ein interessanter Ansatz, auf den wir zurückkommen werden.

Weiter geht es:
Wir sind der Überzeugung, dass die nichtkommerzielle Vervielfältigung und Nutzung von Werken als natürlich betrachtet werden sollte und die Interessen der meisten Urheber entgegen anders lautender Behauptungen von bestimmten Interessengruppen nicht negativ tangiert. …. Daher fordern wir, das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern.
Da kommen wir auf durchaus umstrittenes Gebiet. In der Schweiz ist das nichtkommerzielle Kopieren aber schon lange legal.

Wir erkennen die Persönlichkeitsrechte der Urheber an ihrem Werk in vollem Umfang an.
Da freuen wir Urheber uns doch. Doch jetzt kommt eine interessante Wendung:
Im Allgemeinen wird für die Schaffung eines Werkes in erheblichem Maße auf den öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurückgegriffen. Die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum ist daher nicht nur berechtigt, sondern (…) von essentieller Wichtigkeit. Es sind daher Rahmenbedingungen zu schaffen, welche eine faire Rückführung in den öffentlichen Raum ermöglichen. Dies schließt insbesondere eine drastische Verkürzung der Dauer von Rechtsansprüchen auf urheberrechtliche Werke unter die im TRIPS-Abkommen vorgegebenen Fristen ein.
Hoppla, nun wird den Urhebern unterstellt, dass das meiste, salopp gesagt, sowieso nur geklaut ist, und dass deshalb der Urheberschutz drastisch verkürzt werden muss. Doch nicht nur die Nutzer pflegen diesen Ansatz, auch andere Urheber blasen gerne in dieses Horn, wie wir gleich sehen werden.

http://www.kunstfreiheit.ch
Die Website www.kunstfreiheit.ch ist eine Plattform der bildenden Künstler. Einige von ihnen haben kürzlich einen offenen Brief an unseren lieben Freund Herrn Justizminister Blocher geschrieben, in dem sie ihren Standpunkt zum Urheberrecht darlegen. Dort ist zu lesen:
Die Vertreter der Verwertungsindustrien behaupten gerne, dass die möglichst umfassende Kontrolle geistiger Werke das Ziel des Urheberrechts sei. Diese Ansicht ist falsch. Das Urheberrecht verleiht nur eine beschränkte Kontrolle, der die Rechte derjenigen entgegenstehen, die diese Werke nutzen wollen. Insbesondere KünstlerInnen und Kulturschaffende brauchen freien Zugang zu bestehenden Werken, um diese als Grundlage für neue Werke zu nutzen.

Hier sind nun drei Aspekte besonders interessant. Erstens werden werden wieder die Verwertungsindustrien angesprochen, in unserem Falle also die Musikindustrie, und zweitens werden wir hier mit zentralen Fragen des Urheberrechts konfrontiert, nämlich was ist überhaupt Urheberschaft, was ist originale Kreation und was Kreation aus zweiter Hand? Gibt es verschiedene Qualitäten von Kreation? Dann drittens: stimmt das überhaupt, dass Werknutzer ein Recht haben? Wenn ja, womit haben Sie es erworben? Durch ihren Wunsch, die Arbeit eines anderen für sich nutzen zu wollen?

Letzten Herbst war ich Podiumsteilnehmer am Tweakfest in Zürich, einer sehr interessanten, wenn auch etwas akademischen Veranstaltung zum Thema „Visions of a Digital Lifestyle“. Dort hat die deutsche Webkünstlerin Cornelia Sollfrank eine von ihr angeregte Web-Software präsentiert, mit der sich Bilder auf vielfältige Weise verfremden liessen. Als Vorlage hat sie die bekannten Blumenbilder von Andy Warhol benutzt, davon einige Variationen herstellen lassen und stellte dann die Frage, wer nun der Urheber sei – Warhol, die Software, ihr Programmierer oder derjenige, der die Parameter der Software einstellt. Als Clou, und um die Verwirrung komplett zu machen, wies Frau Sollfrank schliesslich darauf hin, dass bereits Warhol die Blumenmotive von einer anderen Künstlerin übernommen hatte. Natürlich kennt die Kunst schon lange das Objet Trouvé und das Zitat, ob das nun ein Trambillet oder das Werk eines anderen Künstlers ist, und in der Musik kennen wir längst die industrielle Musik, das Sampling, die Coverversion und neuerdings die Mash-Ups. Gerne habe ich damals die Tweakfest-Runde provoziert, indem ich sagte, dass für mich solche Konzeptkunst nur zweitklassige Kreation sei, was mit ungläubigem Staunen aufgenommen wurde. Dass es in der Musik den Begriff der Schöpfungshöhe gibt, war in dieser Runde unbekannt.

Wir können konstatieren, dass es gewichtige Unterschiede und Interessendifferenzen zwischen bildender Kunst, Konzeptkunst und Musik gibt. Komponisten wollen im allgemeinen nicht, dass andere ihre Werke benutzen und dann wieder als ihre eigenen ausgeben, vor allem wenn es dafür keine Entschädigung gibt. Wir können zudem aber auch konstatieren, dass die bildenden Künstler ebenfalls im Gegensatz zur Verwertungsindustrie stehen.

2. Die Musikindustrie
Ja, die geliebte und gehasste Musikindustrie, sie tritt in der Oeffentlichkeit mit ihrem Organ IFPI ganz laut als Wahrer der Urheberrechte auf. „Game Over“ heisst die Aktion, mit der die IFPI die Kriminalisierung der Nutzer betreibt. Selbstgerecht sitzt die Industrie auf ihren wohlerworbenen Rechten und geisselt alle, die nicht mit ihr einig sind.

Doch sind die Rechte wirklich so wohlerworben? Ich zitiere aus der amerikanischen Zeitschrift WIRED, wo die kanadische Band Barenaked Ladies berichtet, dass die Musiker im allgemeinen sehr wenig an den Verkäufen ihrer Schallplatten verdienen. Denn die Kosten von Produktion, Promotion und Marketing werden von den Einnahmen der Musiker zuerst mal abgezogen, nicht von den Gewinnen der Plattenfirmen, und die Plattenfirmen behalten danach die Rechte an den Aufnahmen. Es ist, wie wenn du eine Hypothek für ein Haus aufnimmst, sagt Ed Robertson, und wenn du den Kredit abbezahlt hast, sagt das Label danke und behält das Haus.

Oder der deutsche Musiker Edgar Froese (Tangerine Dream) kürzlich in der Musikwoche: Es gab in unseren Verträgen die Klausel, dass man einmal im Jahr die Bücher der Plattenfirma prüfen kann. Nun hat man einen englische Plattenfirma und beauftragt also eine Buchprüfungsfirma, dies zu erledigen – was eine recht teure Angelegenheit ist. Und dann finden diese Prüfer auch etwas und raten Ihnen, die Plattenfirma zu verklagen. Aber bevor man eine Anhörung vor Gericht bekommt, muss man erst einmal 20‘000 Pfund hinterlegen für den Fall, dass man den Prozess verliert. Mit Anwalts- und anderen Kosten ist man schnell bei 40‘000 oder 50‘000 Pfund, weiss aber nicht, ob die beanstandeten Mauscheleien wirklich diesem Gegenwert entsprechen oder ob nicht doch ein Vergleich geschlossen wird. Und darauf baut die Industrie, die ganz genau weiss, dass 90 Prozent ihrer Künstler diesen Weg nie gehen werden. 1982 habe ich dann Richard Branson gegenüber gesessen (der sich heute Sir Richard Branson nennen darf) und ihm gesagt: „Du hast uns um Millionen beschissen.“ Darauf stand er auf, und das Letzte, was ich von dem Mann hörte, zu dem ich auch privat ein gutes Verhältnis hatte, war nur: „Verklag mich doch.“

Weiter sagte Froese: In Ordnung war diese Branche noch nie, weil sie immer schon das Kreativpotenzial der Künstler ausgenutzt und nur minimal entlohnt hat. Dabei hat sie sich immer der Unkenntnis der Künstler bedient.

Auch die Beatles haben EMI auf 20 Millionen Schadenersatz für unterschlagene Tantiemen verklagt. Gelegenheit macht Diebe. Muss man noch mehr sagen zum Thema „wohlerworbene Rechte“? Die traurige Konsequenz dieser Situation ist, dass das Publikum die heuchlerische Haltung der Musikindustrie sehr wohl durchschaut, und dass es sie zum Vorwand nimmt, um ihre eigene Klauerei zu rechtfertigen. Auch viele Internet-Theoretiker, siehe Lawrence Lessig oder die Piratenpartei, machen diesen logischen Kurzschluss, und die Leidtragenden sind die Musiker.

Hinzu kommt, dass kommerzieller Erfolg ausserhalb der Majors immer noch ausserordentlich schwierig ist, denn die grossen Labels haben aus dem Musikmarkt ein nahezu vollkommenes Monopol gemacht. Als Beispiel habe ich mir letzthin die deutschen Charts angeschaut – 95% der Titel kamen von einem der grossen multinationalen Konzerne oder ihrer Sublabels. Diese Konzerne bauen auf das von ihnen entwickelte System der Stars und Superstars, weil dieses die grössten Profite für die Musikindustrie bei gleichzeitig geringstem Aufwand garantiert. Auf der Strecke bleibt die grosse Masse der durchaus begabten und fleissigen Musiker, denn 95% der Hits gehen an die grossen Firmen, dabei kassieren die Firmen den grössten Teil ab und vom Rest geht der grosse Teil an immer dieselben Stars, die sogar aus ihren geringen Prozent-Anteilen unsinnige Vermögen anhäufen und damit dem Publikum die Rechtfertigung fürs Klauen liefern. Dem Rest der Musiker bleiben ein paar Brosamen von dem vielen Geld, das Konsumenten für Musik ausgeben. Man kann somit etwas pointiert formulieren, dass die Musikindustrie in Wirklichkeit der natürliche Feind des Musikers ist.

Aber, und nun kommt das grosse Aber: Durch die Dynamik des Internets sind seit einigen Jahren ganz neue Komponenten ins Spiel hineingekommen, alles verändert sich in rasantem Tempo, das Monopol der Musikindustrie beginnt zu zerbrechen. Youtube und myspace, Community-Networks, Web 2.0 und die digitale Mitmachkultur – sie eröffnen dem unabhängigen Musiker fantastische neue Möglichkeiten der direkten Kommunikation mit dem Käufer. Das amerikanische Webportal CDbaby zum Beispiel hat bereits über 60‘000 CDs im Angebot und über 25 Millionen Dollar an seine Musiker ausgeschüttet. In der Schweiz gibt es phontastic.ch mit bereits über 350 CDs im Vertrieb, in Deutschland gibt es migusto.de. Im digitalen Bereich macht iTunes einen vergleichsweise sehr fairen Deal für unabhängige Musiker, denn Apple behält nur 35% seiner Einnahmen aus digitalen Verkäufen. Zwar ist dann beim unabhängigen Musiker fast immer noch ein Aggregator als Zwischenhändler im Spiel, doch der Musiker erhält dennoch gute 50%, wenn er klugerweise alle seine Rechte bei sich behalten hat. Der digitale Direktvertrieb potatosystem eröffnet ebenfalls ganz neue Möglichkeiten.

Letzthin ist das Buch „The Long Tail“ des WIRED-Redaktors Chris Anderson erschienen. Er zeigt darin auf, dass wenn die Lagerkosten gegen null gehen, wie es beim digitalen Vertrieb der Fall ist, die grosse Menge der Nicht-Stars mehr verkauft als alle goldenen und Platinum-Bestseller zusammen. Das Hit-System macht nur dort ökonomisch Sinn, wo der Verkaufsraum stark beschränkt und teuer ist, im herkömmlichen Plattenladen also an guter Verkaufslage.

Rosige Aussichten für die Musiker, und grundsätzlich kann man sagen, dass die herkömmlichen Plattenfirmen als Hüter der Schwelle ausgedient haben. Längerfristig werden sie nur überleben können, wenn sie den Musiker als mindestens gleichberechtigten Partner akzeptieren und zu Marketing-Dienstleistern werden. Hier gibt es das Modell des kanadischen Nettwerks-Labels, das mit lediglich 20% an den Einnahmen seiner Musiker partizipiert, aber dafür an allen Einnahmen – also auch an Publishing- und Live-Einnahmen – und damit notabene sehr gute Geschäfte für sich und seine Musiker macht. Die Major Companies sind ein Auslaufmodell und werden langfristig nur noch mit ihrem riesigen (wohlerworbenen) historischen Repertoire überleben können.

3. Kampfzone DRM
Wir haben also ein grosses Durcheinander von Interessengruppen:
• Urheber und ihre Organisationen
• Zweitverwerter-Urheber, also jene, die Coverversionen und Mash-Ups machen
• Urheber-Vermarkter, wie Plattenfirmen und Musikverlage
• Hardware-Hersteller,
• kommerzielle Nutzer, wie Radio- und Fernsehanstalten sowie Werbetreibende
• und schliesslich die individuellen Nutzer.
Von allen diesen Protagonisten äussern sich die Urheber selber am wenigsten und werden kaum wahrgenommen. Und diejenigen, die sich am lautesten als Wahrer der Urheberrechte aufspielen, sind ausgerechnet die Profiteure der urheberischen Kreativität, nämlich die in der IFPI vertretenen Firmen einerseits und die Hardware-Hersteller, die die Gerätchen bauen, die sie dank der Kreativität der Urheber massenhaft und gewinnbringend verkaufen können. Sie haben sich auf ein Zauberwort festgelegt, das ihren Interessen am besten dient: Digital Rights Management oder kurz DRM.
Das Konzept von DRM besteht darin, dass dem digitalen Werk Metadaten hinzugefügt werden, die für den Nutzer aufgrund von Hardware-Sperren nicht zugänglich und nicht veränderbar sind. In diesen Metadaten ist festgelegt, wie oft und auf welche Art von Hardware ein Stück überspielt werden kann oder, zum Beispiel bei Abonnements-Diensten, wann die Gültigkeits-Dauer der erworbenen Musik abläuft. Praktisch immer bedeutet DRM, dass ein erworbenes Musikstück an ein bestimmtes Format gebunden ist, und dass die Konvertierung in ein Format eines anderen Hardware-Herstellers nur mit Software-Tricks oder über den analogen Umweg möglich ist. In Frankreich wurde auf Drängen der Hardware-Hersteller ein Gesetz erlassen, das die Konvertierung in andere Formate verbietet, was letzthin zu einer Demonstration geführt hat, wo Aktivisten ihre Verhaftung gefordert haben, weil sie legal gedownloadete Musik in ein anderes Format konvertiert haben.

DRM hat grundsätzlich drei grosse Problemzonen:
• Erstens die Einschränkungen, die dem zahlenden Nutzer auferlegt werden, und die von vielen Käufern je länger je weniger akzeptiert werden.
• Zweitens die technische Machbarkeit. Es wird immer Wege geben, das DRM zu umgehen, und wenn es über eine Analog-Kopie ist.
• Drittens die gesellschaftliche Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz des „gläsernen Menschen“.

Wenn DRM wirklich greifen soll, dann muss Konvertierungs-Software verboten werden, und dann müssen die Nutzer bis ins Letzte ausgespäht werden. Das krasseste Beispiel dafür hat SONY-BMG abgegeben: letztes Jahr lieferte die Firma mehreren Millionen Audio-CDs aus, die absichtlich mit Hacker-Software infiziert waren. Diese nistete sich in den Computern der Käufer tief im Betriebssystem ein und lieferte insgeheim Berichte über die Nutzer-Gewohnheiten an SONY-BMG. Die Firma ist mehrfach dafür verklagt worden und wird saftige Bussen zahlen müssen.

Die gesellschaftliche Komponente hat die grösste Brisanz. Wir müssen uns fragen, ob wir auch auf dem Gebiet der Künste unter dem Vorwand des Urheberschutzes den totalen Ueberwachungsstaat und zudem die Enteignung des Nutzers wirklich wollen. Ich meine, dass schon der inszenierte „Krieg gegen den Terror“ – wie wenn Krieg nicht der grösste Terror wäre – einen erschreckenden Abbau der Bürgerrechte mit sich gebracht hat. Da brauchen wir nicht noch mehr Ueberwachung und Gängelung, nur weil einige Hardware-Hersteller und Plattenfirmen davon profitieren. Die meisten Künstler sprechen sich ohnehin gegen DRM aus.

4. Ein paar persönliche Vorschläge
• Die Creative Commons-Bewegung hat sehr interessante Ideen in die Diskussion eingebracht. Im CC-System bestimmt der Urheber selber darüber, ob andere sein Werk ohne Anfrage weiter bearbeiten dürfen, ob dann der Name des ursprünglichen Urhebers genannt werden soll und weiteres mehr. Creative Commons wurde aber primär für die Bedürfnisse von OpenSource-Software entwickelt und kann nicht eins zu eins auf Musik übertragen werden, nur schon deshalb, weil keine Nutzungs-Vergütungen vorgesehen sind. Es wäre aber vermutlich sehr sinnvoll darüber nachzudenken, ob nicht ähnliche Kriterien ins musikalische Urheberrecht übernommen werden könnten, sodass also der Urheber bei jedem Werk ankreuzt, welche Rechte er sich und der SUISA bzw. Swissperform vorbehält und welche Rechte er der Public Domain zu welchen Bedingungen übergibt. Das heutige System ist ein zu starres Entweder/Oder.

• Rechte-Erteilungen an Nutzer sollten flexibler und online erfolgen. Ich weiss zum Beispiel von Tanzstudios, die eigene illegale CD-Compilations herstellen und an ihre Schüler verkaufen, ohne dabei ein Unrechtsbewusstsein zu haben, weil sie ja einen Vertrag mit der SUISA für Musik im Unterricht abgeschlossen haben. Anstatt nun diese Compilations einfach zu unterbinden, wäre es für alle viel sinnvoller, wenn diese Tanzstudios ihre selber gebrannten Compilations online anmelden und ihre Vergütungen per Kreditkarte bezahlen könnten.

• Es ist dringend notwendig, die Diskussion zwischen Urhebern und Zweit-Urhebern zu führen. Was ist Schöpfungshöhe? Ist ein Mash-Up gleichwertig wie eine originale Schöpfung oder nicht? Die Urheber der bildenden Künste, die Konzeptkünstler und die Komponisten müssen eine gemeinsame Stimme finden, um mehr Gewicht zu erhalten. Wobei ich der Ueberzeugung bin, dass die Musiker und ihre Vertreter auf diesem Gebiet sehr viel fortgeschrittener sind als die anderen Künstler, sind doch im Musikbereich die meisten Vorgänge wie Coverversion oder Sample-Benutzung recht klar geregelt.
• Die Erweiterung der Leerträger-Abgabe auf neue Speichermedien wie Harddisks, Flash Memory usw. ist für die Künstler enorm wichtig, um den Wegfall von CD-Verkäufen zu kompensieren. Dem Publikum muss einleuchtend erklärt werden, dass das Recht auf Privatkopie, das wir in der Schweiz bis jetzt haben, nicht selbstverständlich ist, sondern nur im Gegenzug für die Leerträger-Abgabe an die Nutzer abgetreten worden ist. Es ist bedauerlich, dass sich die Schweizerische Stiftung für Konsumentenschutz von den Hardware-Herstellern hat einspannen lassen und gegen die Erweiterung der Leerträger-Abgabe Front macht.

• Komponisten und Musiker tun gut daran, sich mit den neuen Wegen im Internet auseinanderzusetzen, die die direkte Kommunikation von Urhebern und Nutzern im Internet erlaubt. Das Imperium der Marketing-Spezialisten und Zwischenhändler, die bisher viel zu viel abkassiert haben, ist am Zerbröckeln. Auch Journalisten sollten die unabhängigen Musiker, die sich nicht mehr von der Industrie einspannen lassen wollen, viel ernster nehmen und durch ihre Berichterstattung zu einer lebendigeren Szene beitragen, in der mehr Musiker als bisher von ihrer Arbeit leben können. Womit wir wieder beim Anfang wären: ohne Urheberrechte und entsprechende Vergütung, aber auch ohne wirklich freien und offenen Musikmarkt, ist Kreativität in dieser Gesellschaft tatsächlich nicht möglich.

Ein letztes Wort zur Revision des URG: Alles ist in unheimlich schneller Bewegung. In nur zwei oder drei Jahren wird vieles ganz anders aussehen als heute. Die anhängige Gesetzes-Revision sollte auf keinen Fall weitergehen als unbedingt notwendig, um nicht neue Fehler festzuschreiben, wie es soeben in Frankreich geschehen ist. In diesem Falle lieber abwarten und Tee trinken.

PJ Wassermann
17.10.06
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2 Gedanken zu “Kreativität, Urheberrecht und die Musikindustrie

  1. […] Update: PJ Wassermann hat sein Referat an der Tagung zum Thema “Kreativität, Urheberrecht und die Musikindustrie” in seinem Blog veröffentlicht. Der Artikel zeigt auf: Dabei habe ich im Kern vor allem darauf hingewiesen, dass es untragbar ist, dass genau die Musikindustrie, die so viele Künstler betrogen und über den Tisch gezogen hat, sich nun als Wahrer der der Urheberrechte aufspielt – die Industrie hat ein so schlechtes Image, dass das Publikum sich im Recht fühlt, wenn es gratis Musik herunterlädt. Hinzufügen zu:Diese Icons verweisen auf Social Bookmarking Seiten, wo Leser Links zu Webseiten teilen und entdecken können. […]

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